Morbs auf Reisen

Es gibt ein Leben nach der Ausstellung

Die Morbs sind Porträts von Wesen, die ich getroffen habe. Es gilt stets, dass sie damit einverstanden sind, wie ich sie ausstelle, darstelle.
Ich darf sie auch weitergeben. Wichtig ist nur, dass sie in gute Hände geraden.
Bei manchen Morbs verhält es sich so, dass ich ihre Porträts bereits anfertige, bevor ich sie überhaupt kennen lernte. Umso erfüllender war es mir dann, sie zu treffen und ihre Geschichte zu erfahren.
(Die Möglichkeit, Morbs darzustellen, ohne dass ich die Abzubildenden überhaupt kennengelernt habe, entspricht dem Ganser-Prinzip: Etwas darzustellen, was noch nicht anders auszudrücken ist).
Im Text „Von Abfall und Zufall“ wird ausgeführt, dass ich die Geschichte eines Morb nur bis heute erzählen kann. Es kann dazu kommen, dass ich ihn fortgebe. Dann geht der Morb auf Reisen. (Was auch durch Verkauf stattfinden kann, so dass er Wert behält.)
Dennoch kann ja dokumentiert werden, wie der jeweilige Mensch, der einen Morb besitzt, damit umgeht. Das möchte ich, unter allen Bedingungen diskreten und individuellen Umgangs, gerne darstellen können auf meine homepage. So dass auch eine Art community entsteht. Die Morbs etwas Verbindendes darstellen.
Es gibt ein paar Morbs, die sich bereits auf Reise befinden. Ich kann deren Geschichte hier nicht benennen, da es damals diese Spielregeln ausdrücklich noch nicht gab.
Bei Abessino Hörbinger verhält es sich ein bisschen anders, und bei Astaire auch. Bei erstem kenne ich die Befindlichkeit der Dame sehr genau, bei der er sich aufhält. Bei Astaire liegt der Fall noch einmal ganz anders. In letzterem Fall übersteigt die Geschichte sogar das übliche Maß dessen, was ich Preis zu geben bereit bin. Weil er mir so am Herzen liegt.

Astaire
Astaire
Astaire

Astaire. Der elegante Tänzer. Er grüßt Euch.
Das ist gut so. Und doch verbirgt sich hinter ihm eine Geschichte der Untröstlichkeit.
Ich traf ihn in einer sommerlichen Gegend, in der nichts so war, wie ich es – unten, im Tal – erlebt hatte. Er trieb sich auf einer Lichtung im Wald herum, was überhaupt nicht zu ihm zu passen schien. Er tanzte. In der Sonne.
Wir setzten uns auf einen Baumstumpf und tranken Mineralwasser. Er meinte, es sei unmöglich, die Dinge, die das Leben ausmachen, genau zu bestimmen. Man habe vielleicht Pläne – es sei auch gut, solche zu schmieden. Es sei sogar sehr wichtig – und dennoch müsse man erkennen, dass sie oftmals genau das Gegenteil von dem bewirken würden, was der Mensch sich in seiner beschränkten Weise, die Dinge zu betrachten, vorgenommen habe.
Er tanzte mir etwas vor, von dem ich verstand, was er meinte: Du wirst doch nicht im Ernst mit dem Leben verhandeln wollen?
Das erinnert mich an einen Menschen, den es nicht mehr gibt. Ich gab ihm Astaire zu einer Zeit, in der er dies möglichweise gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Aber es war mir wichtig, dass Astaire ihn auf seine Weise, auf diese Weise, jeden Morgen, jeden Moment grüßte: dass ich auf diese Weise bei ihm war, dem langsam dahin sterbenden Freund, dem ich so sehr das Leben gewünscht hätte. Weil sein Leben auch für das meinige wichtig war.
Im Gedicht „Mein stiller Freund“ kommt die Trauer zum Ausdruck, die ich empfinde. Zwar spricht das Lied auch von einem anderen Freund, den ich viel früher verlor. Da entstanden die ersten Zeilen – mit 21 Jahren musste ich erleben, dass die „die zweite Möglichkeit von mir“, wie ich ihn begriff, meinte, seinem Leben ein Ende setzen zu müssen, indem er sich in einem Zweimannzelt auf einem Campingplatz irgendwo in Marokko erhängte.
Ich war noch zu jung, um das jemals akzeptieren zu können. Heute noch taucht Rolf immer wieder in einem Träumen auf, und er war nur mal kurz irgendwo anders.
Bei D. ist das anders – ich erkenne sehr wohl, dass er eine Lücke gerissen hat. Dass da etwas Untröstliches in meiner Welt klafft.
Andererseits – genau das versuche ich durch mein Schreiben und mein „Basteln“ auszufüllen.
Ich glaube – Rolf und auch D. hätte das sehr gefallen.

Abessino Hörbinger
Abessino Hörbinger auf Reisen
Abessino Hörbinger

Abessino Hörbinger stammt aus einer Traumgegend, in der ich mich nur selten aufhalte. Ich meide das Gebiet, obschon es dort so viele Anregung gibt. Letztlich halte ich es aber nicht aus, dass ich nichts von dem Material mit ins Wachsein herüber retten kann, das ich dort finde.
Abessino traf ich in einem großen, lichtlosen Raum, den er gerade so weit ausgefegt hatte, wie es überhaupt möglich erschien. Es war ein Raum, hoch und weit wie eine Halle, der möglicherweise kurz zuvor noch für eine Werkstatt taugte. Es roch ein wenig nach altem Motoröl. Aber es gab viele Möglichkeiten, was hier vorher stattgefunden haben mochten.
An den Wänden standen, aufgerollt und angelehnt, riesige Teppiche, die wir mit Sicherheit würden auslegen können, und rundherum gab es Schränke und Regale und Arbeitsplatten, von denen ich immer mehr erkannte, weil ich mich langsam an die Möglichkeiten gewöhnte, auch ohne Licht sehen zu können.
Es gab Fenster, wie ich bald erkannte, auf der einen Schmalseite, riesige Flächen, durch die ich aber nicht hinaus sehen konnte. Große Scheiben, die die Farbe von blinden Augen aufwiesen: hell, fast weiß, ein trauriges Weiß.
Abessino sprach nichts, er stand die ganze Zeit über würdevoll in der Mitte des Raumes und beschützte mich, Auf einmal war eine Meute von schwarzen Hunden herein gekommen, die mich zerfleischen wollten. In unheimlicher Ruhe scheuchte er sie hinaus. Mit einer einzigen, energischen Geste.
Ich verbeugte mich vor ihm, in Dankbarkeit, und ich erhielt die Erlaubnis, ihn porträtieren zu dürfen.
Es gelang mir, meine Arbeit zu vollenden. Dann hörte ich einen entsetzlichen Krach.
Ich versuchte noch, eine Reisetasche an mich zu bringen, die ich bis zum Rande gefüllt hatte mit Bildern aus Holz und anderem fantastischen Material, das ich hier gefunden hatte. Weil ich ernsthaft hoffte, etwas mit hinüber retten zu können. Doch das Licht erlosch. Der ganze Raum löste sich unweigerlich auf. Alles verschwand, auch Abessino. Das einzige, was ich mit in den Alltag retten konnte, war die Idee von dieser Figur

Abessino habe ich an eine Dame verkauft, die in ihm etwas Heidnisches entdeckt; Archaisches, was ich gut nachempfinden kann. Ich erzählte ihr mein Erlebnis mit den schwarzen Hunden, und dass Abession mir als ausgezeichneter Wächter über solch böse Anwandlungen von Angst und Verzweiflung erschienen war. Er erschiene mir als Abbild eines uralten, friedvollen und verlässlichen Hirten.
Leider habe ich Abessino, so gesehen, nicht bei mir. Aber er ist mir nahe.
Ich habe oftmals versucht, die alte Lagerhalle wiederzufinden. Zwei-, dreimal ist mir das gelungen. Doch er war nie wieder anzutreffen.
Zum Glück waren auch die Hunde nicht da.
Dafür hat irgendwer Schränke aufgestellt und Bilder aufgehängt, die derart einfach, aber zauberhaft wirken, dass ich jedes Mal, wenn ich drüben bin, im Traum weinen muss, dass ich nichts davon mitnehmen kann. Nicht wirklich.
Die Bilder habe ich in mir.
Und es kommt mir so vor, als würde mich Abessino ermutigen, die Spuren dieser Wunderwerke in der so genannten Wirklichkeit finden zu wollen. Suchen solle ich nicht, macht er mir klar. Ich würde sie schon sehen, wenn es wichtig würde.